Der Parkplatz
Der Parkplatz

von Ephraim Kishon

Eines Morgens erwachte ich in New York mit Zahnschmerzen. Mit ganz gewöhnlichen, ungemein schmerzhaften Zahnschmerzen. Irgend etwas in meinem linken Unterkiefer war nicht in Ordnung, schwoll an und schmerzte. Ich fragte Tante Trude, ob es in der Gegend einen guten Zahnarzt gäbe. Tante Trude kannte ihrer drei, alle in der Nähe, was in New York ungefähr soviel bedeutet wie 25 Kilometer Luftlinie. Ich wollte wissen, welcher von den drei Zahnärzten der beste sei. Tante Trude sann lange vor sich hin: „Das hängt davon ab. Der erste hat seine Ordination in der Wall Street. Dort wimmelt es von Zeitungsreportern, und wenn jemand einen Parkplatz findet, wird er sofort von ihnen interviewt. Ich weiß nicht, ob du das mit deinen Zahnschmerzen riskieren willst. Der zweite hat eine direkte Autobahnverbindung von seinem Haus zum nächsten bewachten Parkplatz, aber er ist kein sehr angenehmer Arzt. Ich wurde dir zu Dr. Blumenfeld raten. Er wohnt in einen ähnlichen Cottage-Viertel wie wir und hebt in seiner Annonce immer hervor, dass man dort manchmal in einer nicht allzu entfernten Seitenstraße Platz zum Parken findet. „Das war entscheidend. Und mein Unterkiefer war um diese Zeit schon so angeschwollen, dass er keine Zeit mehr zu verlieren gab. Ich nahm Onkel Harrys Wagen und sauste los.
Es dauerte lange, bis ich Dr. Blumenfelds Haus gefunden hatte. Auch die im Inserat angekündigte Seitenstraßen waren da, nicht aber der im Inserat angekündigte Platz zum Parken. An beiden Straßenseiten standen geparkte Wagen so dicht hintereinander, dass nicht einmal die berühmte Stecknadel hätte zu Boden fallen können; sie wäre auf den fugenlos aneinandergereihten Stoßstangen liegen geblieben. Eine Zeitlang kreuzte ich durch die Gegend wie ein von seiner Flugbahn abgekommener Satellit. Dann geschah ein Wunder. Ich sah es mit meinen eigenen Augen. Das heißt: ich sah ein Wunder im Anfangsstadium. Ich sah einen amerikanischen Bürger, der sich an der Tür eines geparkten Wagens zu schaffen machte. Schon hielt ich an seiner Seite: „Fahren Sie weg?“ „Ob ich - was? Ob ich wegfahre?“ Er wollte seinen Ohren nicht trauen. „Herr, ich habe auf diesen Parkplatz zwei Jahre lang gewartet und habe ihn erst im vorherigen Herbst erobert. Damals nach dem Hurrikan, der alle hier geparkten Wagen weggefegt hat...“ Jetzt fiel mir auf, dass das Dach seines Wagens, genau wie das der anderen, mit einer dicken Staubschicht bedeckt war. Da gab es also nichts zu hoffen. Wo ich denn möglicherweise einen Parkplatz finden könnte, fragte ich. Die Antwort, nach längerem Nachdenken und Hinterkopf kratzen erteilt, verhieß wenig Gutes: „Einen Parkplatz finden ... Sie meinen einen freien Parkplatz? In Texas soll es angeblich noch einiges geben. Vergessen Sie nicht, daß sich die Zahl der Autos in Amerika jedes Jahr um ungefähr fünfzehn Millionen vermehrt. Und die Länge der Autos jedes Jahr um ungefähr zehn Inches. Der letzte Gallup-Poll hat ergeben, dass dreiundachtzig Prozent der Bevölkerung das Parkproblem für die gefährlichste Bedrohung ihres Lebens halten. Nur elf Prozent dagegen haben Angst vor dem Atomkrieg.“ Mit diesen Worten zog er einen Roller aus dem Fond seines Wagens, stieg mit einem Fuß darauf und ließ den Wagen unverschlossen stehen. „He! Sie haben nicht abgesperrt!“ rief ich ihm nach. „Wozu?“ rief er zurück. „Niemand stiehlt mehr ein Auto. Wo sollte er es denn parken?“ Mein Zahn trieb mich weiter. Aber es war offenbar sinnlos.
Wohin man blickte, stand geparktes Auto an geparktes Auto, und wo kein Auto stand, stand ein Pfosten mit einer Tafel, und auf der Tafel stand die Inschrift: „Von Anfang Juli bis Ende Juni Parken verboten“, oder „Parkverbot von 0 bis 24 Uhr, Sonn- und Feiertag von 24 bis 0 Uhr.“ War aber irgendwo keine Tafel zu sehen, so stand dort todsicher ein Feuerhydrant, dem man in Amerika unter Androhung schwerster Geld- und Freiheitsstrafen nicht in die Nähe kommen darf, nicht einmal wenn es brennt. In einer schon etwas entfernteren Straße fand ich eine Affiche, aus der hervorging, dass hier am 7. August zwischen 3 und 4 Uhr nachmittags geparkt werden durfte. Ich erwog ernsthaft, so lange zu warten, aber mein Zahn war dagegen. Endlich schien mir das Glück zu lächeln. Vor einem großen Gebäude sah ich einen leeren, deutlich für Parkzwecke reservierten Raum mit der deutlichen Aufschrift: „Kostenloses Parken für unsere Kunden.“ Rasch wie der Blitz hatte ich meinen Wagen abgestellt, stieg aus, fand mich im nächsten Augenblick von hinten an beiden Schultern gepackt und im übernächsten auf einen Stuhl gedrückt, der im Büro einer Versicherungsgesellschaft stand. „Guten Morgen, mein Herr“, begrüßte mich der Mann hinterm Schreibtisch. „Wie lange?“ „Ungefähr eineinhalb Stunden.“ „Der Versicherungsagent blätterte in seiner Tarifliste: Ich erklärte ihm, dass der Wagen bereits versichert war. „Das sagen alle. Darauf können wir keine Rücksicht nehmen.“ „Und ich kann keine Versicherung auf 10000 Dollar nehmen.“ „Dann müssen Sie eben wegfahren.“ „Dann werde ich eben wegfahren.“ Gegenüber dem Versicherungsgebäude befand sich ein Kino. Hinter dem Kino befand sich ein großer Parkplatz. Auf dem großen Parkplatz befanden sich viele große Wagen. Vor den Wagen befanden sich Parkuhren, die sechzig Minuten Maximalzeit vorschrieben. Aus dem Kino kamen fast pausenlos Leute herausgeeilt, warfen Münzen in die Parkuhren und eilten zurück. Bei Einbruch der Dunkelheit ging mir das Benzin aus. Ich fuhr zu einer Tankstation, während der Tank gefüllt wurde, fragte ich nach der Toilette. Dort erkletterte ich das Fenster, durchkroch eine Art Schacht, gelangte ins Magazin, stahl mich durch die Hintertür hinaus und befand mich in einem engen dunklen, nach Leder riechenden Raum. Es war mein Wagen, den die erfahrenen Tankstellenwärter dort abgestellt hatten. Ihr hämisches Grinsen reizte meinen verwundeten orientalischen Stolz. „Was können Sie sonst noch mit dem Wagen machen?“ fragte ich. „Lassen Sie hören!“ Das Offert kam prompt und sachlich: „Ölwechsel - zehn Minuten. Überholen - eine halbe Stunde. Lackieren - eine Stunde.“ „Lackieren Sie ihn grasgrün und wechseln Sie das Öl.“ Ungestüm startete ich in Richtung Blumenfeld. Ich schlug ein scharfes Tempo an, denn der Zettel, den man mir an der Tankstelle in die Hand gedrückt hatte, trug folgenden eindeutig präzisierten Text: „Wenn Sie nicht pünktlich nach der vereinbarten Zeit von 1.10 Uhr (das war handschriftlich eingetragen) Ihren Wagen abholen, wird er in unserem eigens hierfür konstruierten Parkofen verbrannt.“ Da ich schon lange nicht trainiert hatte, geriet ich leider sehr bald außer Atem. Ich bestieg einen Bus und nahm an der Endstation ein Taxi zu Dr. Blumenfeld. Als ich dort ankam , waren 42 Minuten vergangen, so dass ich sofort umkehren musste. Ich kam gerade zurecht, wie die Tankstellenwärter sich anschickten, die erste Kanne Kerosin über meinen grasgrünen Wagen zu schütten. Jetzt gab es nur noch Möglichkeit, und ich war entschlossen, sie auszunutzen: Ich fuhr mit meinem Wagen vor Dr. Blumenfelds Haus und ließ ihn krachend auf einen Laternenpfahl aufprallen. Erlöst entstieg ich dem Blechschaden und begab mich in die Ordination. Gerade als Dr. Blumenfeld mit der Behandlung fertig war, ertönte von unten zorniges Hupen. Durchs Fenster sah ich, dass es von einem Wagen kam, der dicht hinter dem meinen stand. Ich sauste hinunter. Ein anderer von Dr. Blumenfelds Patienten empfing mich zornschnaubend: „Was bilden Sie sich eigentlich ein, Sie? Glauben Sie diese Laterne gehört nun Ihnen?“ Ich musste Ihm recht geben. Selbst in Amerika können sich nur die Reichsten der Reichen den Luxus einer eigenen Parklaterne leisten.

 


 

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